Koloniales Erbe und unsere Verantwortung - Wie funktioniert Wiedergutmachung am Beispiel Namibias?

Abendforum mit Ruprecht Polenz in der Akademie Franz Hitze Haus

In Kooperation mit der Akademie Franz Hitze Haus war es uns gelungen, mit Ruprecht Polenz den Sondergesandten der Bundesregierung für den Dialog um den Völkermord an den Herero und Nama im Gebiet des heutigen Namibia zu gewinnen, der seine Erfahrungen in dem politischen und gesellschaftlichen Prozess skizzierte und mit den Teilnehmer*innen den aktuellen Stand diskutierte. Das Interesse war groß, aber leider waren unter Beachtung der Corona-Auflagen nur 60 Personen zu dem Gesprächsforum „Völkermord in Namibia – (Wie) ist Wiedergutmachung möglich?“ zugelassen.

 

Der Vortrag zu den langwierigen Verhandlungen zwischen Deutschland und Namibia über die Aufarbeitung der Kolonialzeit fand am war höchst informativ und intensiv. Im Anschluss an dem nachwirkenden Vortrag fand eine lebhafte Diskussion statt. 

Nach den Grußworten von Dr. Christian Müller, Fachbereichsleiter Politik, Gesellschaft und Internationales an der Akademie Franz Hitze Haus, und Dr. Marianne Heimbach-Steins vom SI Club Münster-Mauritz, führte Polenz in einem fesselnden sowie mit vielen persönlichen und zwischenmenschlichen Erfahrungen durchsetzten Vortrag in die Thematik ein.

Von 1884 bis 1915 war das heutige Namibia als „Deutsch-Südwestafrika“ Kolonie des Deutschen Reiches. Als sich zwischen 1904 und 1908 die Volksgruppen der Herero und Nama in zwei bewaffneten Aufständen gegen die deutsche Kolonialmacht auflehnten, wurden sie durch die vom deutschen General von Trotha geführten deutschen Truppen brutal verfolgt, getötet oder interniert. Von Trotha hatte einen ausdrücklichen „Vernichtungsbefehl“ herausgegeben, auf den sich die heutige Bewertung der Vorgänge als Völkermord stützt.

Obwohl die Bundesregierung nach intensiven Debatten seit Ende der 1990er Jahre schließlich 2016 den Völkermord an den Herero und Nama anerkannt hat, ziehen sich die Verhandlungen zwischen der deutschen und namibischen Regierung zum Rahmen einer offiziellen Entschuldigung und dem Umfang einer „Wiedergutmachung“ vor Ort hin. 

Weil geschehenes Unrecht nicht ungeschehen gemacht werden kann, ist eine eigentliche Wiedergutmachung kaum möglich, betonte Polenz. Während es den Nachfahren der Opfer um Anerkennung der Leiden geht, die durch die Kolonialherrschaft angerichtet wurden, ist es Ziel der Bundesregierung, im Dialog die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die namibische Seite eine Entschuldigung annehmen kann. Deshalb geht es neben der politisch-moralischen Dimension, der wir uns als Deutsche stellen müssen, nicht zuletzt um das mit tiefen Emotionen verbundene Thema der Rückführung von Gebeinen, die zu Zwecken der „Rasseforschung“ nach Deutschland geschickt worden waren.

Polenz resümierte, der Sinn liege nicht in einer Schlussstrich-Verhandlung, sondern im Gestalten von Versöhnungsprozessen zwischen beiden Ländern. Die Kolonialzeit, so wurde deutlich, ist kein abgeschlossenes Thema. Sie wirkt nicht nur in den ehemaligen Kolonien, sondern auch in den Gesellschaften der früheren Kolonialmächte in die Gegenwart und Zukunft hinein. Sie prägt – oft unerkannt – auch unser Denken. Bewusstseinsbildung durch eine explizite Erinnerungskultur braucht deshalb eine kritische Geschichtsdarstellung im Schulunterricht und in Schulbüchern. 

Notwendig ist auch ein bewusster Umgang mit Denkmälern – in Münster etwa mit dem umstrittenen Train-Denkmal am Ludgerikreisel für die gefallenen Deutschen im Kolonialkrieg von 1905/06. Bewusstsein zu wecken für koloniale Prozesse und Denkmuster, die unsere Wahrnehmung und Sprache beeinflussen, ist eine bleibende Aufgabe. Der Abend mit Ruprecht Polenz hat zumindest für die sechzig Teilnehmenden einen wertvollen Beitrag dazu geleistet. 




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